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Noch Einmal Auf Deutsch

June 5, 2020

6. Juni 1970 — Meine Lieben,

Seit ich zur Columbia gehe, hängt mein Lebenslauf (natürlich nicht der moralische!) sozusagen vom Weltgeschehen ab. Nachdem ich schön seit Wochen durch – von randalierender Jugend – zertrümmerter Türen und stinkbomben-verpesteter Hallen, gefährdeter Gesundheit, wenn auch nicht Lebens, ein- und ausging, nahm mein Semester eines Tages ein jähes Endo. Natürlich wisst Ihr, dass Nixon’s Entschluss, in Cambodia einzumarschieren, bei uns einen grossen-milde ausgedrückt Entrüstungssturm hervorgerufen hat. Solche Geschehnisse haben einen direkten Einfluss auf meinen Alltag. Ihr müsst also nur die Zeitung lesen, um zu wissen wo’s an der Turner Road wider g’schaellet hät.

Denn unsere Familie, wie wahrscheinlich tausende anderer auch, reflektiert in bescheidenem Masse die Polarierung der Meinungen, welche in gewissen Gruppen zu einer solch leidenschaftlichen Hysterie aufgepeitscht werden, dass sie mit rationellem Denken nichts mehr zu tun haben und für das Land gefährlich werden können.

Klaus und ich, zwei sehr unpolitische Menschen, stimmen Gottseidank in allem überein, d.h. wir sehen Vernunft und Unvernunft in Argumenten beider Seiten, sympathisieren aber eher mit der liberalen Ideologie. Jedoch bin ich zum ersten mal beinahe ernstlich mit meiner Tochter Maya in die Haare geraten – ausgerechnet über Politik, ich, die sich nur entfernt und hauptsächlich um den historischen Aspekt dessen kümmert! Aber da liegt eben wahrscheinlich gerade der Hase im Pfeffer [Da liegt der Hase im Pfeffer– That’s where the trouble lies]: Bei uns besteht nicht nur die Generationen- sondern auch die Kulturluecke. Unsere Kinder sind Amerikaner, Kinder der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, direkt aus Aldous Huxley’s, “Brave New World”. Und ich bin eben nicht nur in einem patriarchalischen Land, sondern auch in einer solchen Familia aufgewachsen, wo die Männer an Wiiberlogik und – seien wir offen -an leichte weibliche Minderwertigkeit (jedenfalls auf politischem Gebiete) glauben. Ich glaube, dass diese selbe Überzeugung in mir verankert ist. Ich werde sie nie abschütteln können, sosehr mein Intellekt mir das Gegenteil beweist. Nun, haben ja tausende von Stauffacherinnen die gleiche Vergangenheit wie ich, und bringen es fertig, sich aller Vorurteile zum Trutz zu behaupten und ihren Mann zu stellen (meine Schwägerin Elsi als Schulpflegerin und wer weiss was die Zukunft noch für sie hält! sei ein brillantes Beispiel); aber ich bin eben ich so sehr durchtränkt von der Überzeugung, dass Frauen nicht wissen können in Sachen Politik, von 15.jaehrigen weiblichen Rotanasen schon gar nicht au reden. Dies musste ich dann Maya eben zu verstehen geben, als sie hochentrüstet über Nixon, frisch indoktriniert von ihrer Schule mach Hausa kam. Wir gerieten dabei in eine so hitzige Diskussion, dass ich mich plötzlich dabei ertappte, Nixon auf’s eifrigste zu verteidigen. Dabei kann ich ihn selbst nicht ausstehen. Aber mir ging es eigentlich darum, ihr zu erklären, dass sie noch viel zu jung ist, um ein so rechthaberisches Gebahren an den Tag zu legen in Dingen, die dazu viel zu ernst zu nehmen sind. Dabei vergass ich ganz, dass Rechthaberisch-sein wohl das Privileg der Jugend ist. Indem ich mich überhaupt in eine Diskussion einliess, hatte ich sie auch a1s gleichwertigen Gesprächspartner anerkannt. Also bin ich doch auch schon unmerklich angesteckt vom neuen Zeitgeist: Youth Power! Also mir, einer respektablen angehenden Vierzigerin, ist man über den Mund gefahren mit Argumenten wie: “Ich weiss so viel wie Du! Ich höre auch die Nachrichten, ich lese such Zeitungen. Warum sollte ich nicht imstande sein, Meinungen zu bilden!” An die Wand gedrückt, konnte ich nur noch zappelnd entgegnen: “Vergiss nicht, dass ich 30 Jahre elter bin als Du (worauf ich natürlich sofort korrigiert werde: only 24!), dass ich reifer bin, and überhaupt, dass Du mir Respekt    schuldest “Ich konnte nicht umhin, anzufügen: “Und eines Tages wirst Du Deiner Tochter dasselbe sagen.” Die ganze Szene kam mir nachgerade komisch, denn sooo bekannt vor.

Amerika ist heute “a house divided”, und politische Diskussionen sind mit Vorteil zu vermeiden. Besonders die amerikanischen fanatischen Superpatrioten bringen mich nie zum Staunen heraus. Sie nennen die amerikanische Fahne “Old Glory”, und wehe dem, welcher ihr nicht gebührend Ehre erweist. “My country right or wrong!” schrien diese Leute. Ihrer Ansicht nach ist jeder, welcher Nixon kritisiert ein unpatriotischer Schmutzfink und wird gebeten, das Land zu verlassen. Klebstreifen auf Autos warnen “Your Country: love it, or leave it!” Solchen Dickschädeln ist nicht beizubringen, dass es Leute gibt, die gerade aus Liebe zum Vaterland gewisse unmoralische Dinge, die hier vor sich gehen, nicht tolerieren wollen. Auf der andern Seite stehen jene, welche Nixon als zweiten Hitler verschreien, was jedem, dem Hitler’s Stimme noch in den Ohren tönt und seine Taten in den Knochen hat, leicht übertrieben scheinen muss. Mitten im tobenden Meinungsstreit stehe ich, und mir wird es angst und bange. Wo Engstirnigkeit fanatisch wird, in einem Land, das geschichtlich eiren Hang zu Gewalttaten zeigt, sind Zukunftsaussichten unheimlich.

Wir leben inmitten einer Festung von konservativen Füdlibuergern. Wir lassen uns nicht in Diskussionen mit Nachbarn sin. Trotzdem hat Klaus einmal aus dem Hinterhalt ein paar Schüsse gettan (mit Worten, nicht mit dem Gewehr.) Es war sin lauer Sommerabend. Ich war schon im Bette. Irgendwo muss eine Garden party stattgefunden haben, wobei die Leute einander in die Haare gerieten, Eine einsame Stimme der Vernunft wagte, einzuwenden, dass die amerikanische Fahne schliesslich nichts als sin Stück Tuch sei, mit welchem man keinen allzu übertriebenen Kult trieben solle. Darauf erhob sich eine aufgebrachtes weinerliche Männerstimme zu lautem Gebrüll, seine “Old Glory” leidenschaftlich verteidigend: es sei das allerhöchste Symbol im menschlichen Leben: zu sterben dafür wäre ihwie ich nun einmal bin, den Lehrern als solche bekannt war, Es gibt immer Examen in der Mitte und am Ende des Semesters, Da ich in der Mitte gut abgeschlossen hatte, wurde diese Note als final grade anerkannt, d.h. ich musste keine Endprüfungen bestehen. Wäre dem nicht so gewesen, so hätte ich entweder die Kurse wiederholen, oder mit den Lehrern privat etwas arrangieren müssen um mich einer Prüfung zu unterziehen. Ich was also fein raus hatte dadurch länger Ferien (am 15. Juni fängt mein Sommerkurs an),

und musste nicht für die Endprüfung büffeln. Ich war aber trotzdem enttäuscht, da ich ja vor allem zur Schule gehe, um etwas zu lernen; und die jungen Revolutionäre sind schuld daran, dass ich in dieser Beziehung zu kurz kam. Ich machte nochmals amen Versuch, zur Schule zu gehen, bevor es klar wurde, dass das Semester endgültig zu Ende war. Die Streiker wollten mich aber nicht durchlassen und verwickelten mich in ein langes Gespräch, Ich bin natürlich sehr leicht beeindruckbar, und wäre dem Charms dieser äusserst intelligenten jungen Leute beinahe erlegen, Ich konnte nicht umhin, zuzugeben, dass sie in gewissen Gebieten wohl viel besser orientiert sind als ich, und oft konnte ich ihren Argumenten eben nichts entgegnen. Die merkten das bald und wollten mich sogar für ihre Sache anwerben. So Leute wie ich, meinten sie, würden ihrer Bewegung Respektierlichkeit verleihen. Sie seien nämlich nicht an Gewalttaten interessiert. Die böse Polizei sei an allen diesen Vorfällen schuld. Da krebste ich aber schnell zurück, obwohl mir der Antrag beinahe etwas schmeichelte. Ausserdem legten sie im gewissen Dingen eine solche Naivität an den Tag, dass ich nicht sicher sein konnte, ob sie in Sachen, von denen ich nichts verstehe, wirklich so gut orientiert sind, wie ich den Eindruck hatte. In ihrem revolutionären Eifer werfen sie alle Streitpunkte in den gleichen Topf, was mir nicht nur hanebüchen, sondern vor allem höchst gefährlich scheint; ist ihr Ziel doch schliesslich totale Zerstörung des bestehenden Systems. Sie sind gegen den Vietnams-Krieg, Rassen-Diskriminierung, und tausend andere Dinge, für welche sie die Columbia-Universität direkt verantwortlich machen. So z.B. verlangen sie, dass Columbia des Geld aufbringt, um die wegen Mord und ähnlichen geplanten Dingen verhafteten Black Panthers au befreien! In dieser Beziehung musste ich ihnen meinen Standpunkt klar machen, worauf sie einsehen, dass ich vielleicht doch nicht in ihre Reihen gehöre. Ich erklärte, dass die Neger durch die jahrhundertelange Unterdrückung in diesem Lands and die täglichen Demütigungen, die sie noch heute erfahren müssen, einen leidenschaftlichen Hass gegen die Weissen im Ranzen hätten, was schliesslich und endlich nur menschlich ist. Schon aus rein selbstsüchtigen Gründen deshalb, sollten die Weissen alles in ihrer. Macht stehende tun, um das Unrecht – wenn es auch nie möglich sein wird, es wieder gutzumachen – wenigstens jetzt und für die Zukunft zu beheben. Es ist jedoch ein gang grosser Irrtum, schwarze Kriminelle, wie die Black Panthers, zu unterstützen in ihrem lechzen nach Rache, und ihnen zur Macht zu verhelfen es sei denn, man wäre an der Gefährdung der Weissen interessiert. Die jungen Träumer jedoch waren entsetzt über meine Andeutungen, dass die Black Panther Zerstörung der Weissen im Herzen tragen, und sie wechselten bedeutungsvolle Blicke über meine irrtümlichen Anschauungen. Ich warnte sie: wenn diese Leute tatsächlich die Macht in die Hände bekommen für welch. Ihr so idealistisch kämpft, dann werdet Ihr die ersten sein, die daran glauben müssen. Niemand wird Euch fragen, ob Ihr für die Schwarzen gekämpft habt, oder ob ihr gestern eingewandert seid und nichts mit Sklavenhaltung zu tun habt. Nur eines wird für sie zählen in ihrem blinden Hass: nämlich dass Ihr weiss seid. Das fanden sie äusserst zynisch von mir and wollten es absolut nicht akzeptieren. Sie sind von der totalen Unschuld der Black Panthers überzeugt, halten alle Anklagen für Lügen, und glauben, sie seien frei von bitteren Gefühlen gegenüber den Weissen: “All they want is to have their rights!”

Um die Situation noch ‑‑zu machen, weist das rechtsstehende Element, das Gegenstück zu diesen radikalen Weltverbesserern dieselbe Unvernunft auf. Obwohl Konservative – ausser vielleicht den hoffnungslos verbogenen Rassisten des Südens    darauf beharren, dass such sie vollkommen dafür sind, dass die Neger endlich zu ihrem Recht kommen und dass sie lediglich über die Mittel und Wege anderer Meinung sind (nämlich, dass der Prozess langsam und ordentlich innerhalb des Recht-Systems vor sich gehen soll, mit andern Worten, dass sich die Neger eben nochmals einige Jahrhunderte gedulden müssen!), glaube ich, dass die meisten in Tat und Wahrheit im tiefsten Innersten ihres Herzens an die Überlegenheit der Weissen glauben. Hie und da lässt plötzlich einer ein Wort fallen, des ihn verrät. Ich habe das schon so oft beobachtet, dass eine gewisses Mass an Wahrheit hinter meiner Vermutung stecken muss. Viel eher als Nixons Entschluss, in Cambodia einzudringen (es gibt triftige Gründe, die dafür sprechen), verurteile ich seine Tendenz, diesen Rechtsextremisten zu hoebelen. Diese, Haltung kann an sich heutzutage einfach nicht mehr leisten. Die Neger werden sich ihre Rechte – und wenn sie einmal in Schwung sind, wahrscheinlich mehr als das – mit Gewalt nehmen, wenn es ihnen zu langsam geht. Aus all diesen Gründen herrscht ein grosser Zwiespalt in diesem Land, und die “silent majority”, mit deren Unterstützung Nixon sich wähnt, fühlt sich gezwungen, von der Mitte nach links oder rechts abzuweichen, und Stellung zu nehmen.

Inzwischen aber geht mein Alltag gemütlich weiter. Meinen Haushalt habe ich sträflich vernachlässigt. Noch bald fünf Jahren haben as die Kasten and Kästen bitternoetig, geputzt zu werden, aber ich müsste ja ein Jahr frei nehmen dazu. Deshalb habe ich schon gar nicht angefangen, war aber trotzdem nicht müssig. Ich vorbrachte zum Beispiel tagelang in Läden, um meinen schwierigen Töchtern eine Sommer-Garderobe zu erstehen. Davon will ich Euch jetzt nicht auch noch die Ohren vollschwatzen, Es soll genügen, zu erwähnen, dass sie mich mit ihrnen komischen Ideen glatt die Wände hinauftreiben. In Geschmacksdingen sind wir alle drei gleich starrköpfig, und ein Kompromiss ist manchmal schwierig zu erreichen.

Dann hatte ich mich such für den kommenden Sommer vorbereitet, für jedes Kind ein Plaetzli gesichert, allerdings nur für 4 Wochen. Thomas und Tina gehen drei Tage pro Woche in ein Day Camp. Maya wird da als Counsellor arbeiten. Karin geht für 5 Wochen in ein Theaterprogramm, welches Eigenproduktionen mit Theaterbesuchen in Neu York verbindet. Dabei habe ich mir furchtbare Transportprobleme aufgebuerdet. Ich weiss gar nicht, wie ich das mit meinem eigenen Studium überhaupt kombinieren und meistern kann. Denn Kindern wird die Abwechslung jedenfalls bekommen. Sie arbeiten wirklich hart während des Schuljahres. Es ist unglaublich, was alias von ihnen verlangt wird. Schule, Aufgaben und das Klavierspiel (neuerdings auch Tina!) lässt ihnen überhaupt keinen Raum für Unsinn. Ausserdem haben sie noch so ihre kleineren Kuechenpflichten. Ich fühle mich manchmal dabei beinahe etwas schuldig. Zu unseren Zeiten arbeiteten die Mütter zweifellos viel mehr als Kinder, weshalb es selbstverständlich war, die Jungmannschaft nachzunehmen. Heute ist die Situation beinahe gekehrt, weshalb ich gnädig hie und da des Handtuch oder den Waschlappen zur Hand nehme, allerdings natürlich nicht ohne Leidermiene und vorwurfsvolle Blicke, was dann immer eine tiefempfundenes “Oh, thank you, Mommy!” hervorruft. Ich habe da einen guten Trick herausgefunden: Die Familie muss wissen, dass jede Handreichung von Muttern als Gefallen zu betrachten ist. So wird ein gut gekochtes Mahl und eine blank gescheuerte Küche mit Dankesworten anerkannt. Manche Mutter würde sich wohl mit weniger Zähneknirschen abrackern, wenn ihr dafür so überschwänglich gedankt würde!

Jetzt allerdings geht mir der Schnauf aus. Ob ich wohl nach diesem Redeschwall noch alle Eures Aufmerksamkeit habe? Ich wollte, nur noch sagen, dass Maya soeben on einer Französisch-Prüfung in New York mit Lorbeeren zurückgekehrt in (und $50!) Ihre Französisch-Lehrerin hat sie für einen nationalen Wettbewerb, welcher vom French Institute gegeben wurde, angemeldet. Das war letzte Woche, und sie gewann den 2. Preis national, den 1. Preis des Ostteils. Heute war die mündliche Ausscheidung unter den 6 besten Studenten. Sie hätte eine Frankreichreise gewinnen können! Hätte…. Ja nu, Wir sind trotzdem recht stolz auf sie.

Ich hoffe, dass Ihr alle einen recht schönen, geruhsamen Sommer verbringt. Uns wünsche ich zur Abwechslung anständiges Wetter. Es hat seit Wochen beinahe ununterbrochen geregnet, oder dann hängen tiefgraue, deprimierende Wolken am Himmel.

Originalversion:

From → MarComm/PR 101

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